Geständnisse eines ehemaligen Ausrüstungssüchtigen

Wie das Kamera- und Objektivekaufen mich blockierte und Tausende kostete

von Olivier Duong

Dies ist eine leicht gekürzte Version des Originalartikels.
Fotos: Olivier Duong; Übersetzung: Wolfgang Bohnhardt
 

Gott sei Dank bin ich heute ein Ausrüstungsminimalist, der seinen Fokus auf Fotografie richtet, und ich bin ein großer Freund kreativer Beschränkung (man ist schöpferischer mit weniger), aber tatsächlich war ich ein ziemlicher Ausrüstungssüchtiger, vom Ausrüstungs-Anschaffungs-Syndrom (AAS) infiziert im Moment des Kamerakaufs. Ich hatte dieses Problem von Anfang an, aber jetzt bin ich geheilt. Zum einen möchte ich denen bei der Heilung helfen, die um ihr AAS wissen, zum anderen den übrigen bei der Vorbeugung helfen.

Vielleicht höre ich mich wie ein Prediger an und vielleicht etwas barsch, aber bedenken Sie bitte, dass ich zuerst mir selbst barsche Predigten hielt, denn ich habe viel Zeit und Geld durch meine Ausrüstungssucht verloren. Verstehen Sie mich richtig: Ich LIEBE Ausrüstung, aber ich rede hier von AAS, dem Syndrom, das uns nutzlose Ausrüstung horten und Zeug kaufen lässt allein um des Kaufens willen.

Ich wusste immer, dass ich ein Problem habe

Ich bin in die Fotografie eingetaucht wegen AAS. Ein Freund besaß eine beeindruckende professionelle Kamera, und eines Tages stellte ich fest, dass ich sie mir leisten konnte. Und ich leistete mir meine Nikon D80. Es ist ganz in Ordnung, die Fotografie über die Liebe zum Spielzeug kennenzulernen, das Problem war nur, dass es nicht bei der Kamera blieb. Von da an ging’s bergab.

Meine schmerzliche Kameraliste

Ich weiß wirklich nicht mehr, wie viele Kameras ich besaß. Ich weiß bloß, dass ich sie überhaupt nicht brauchte, ausgenommen die einfachsten. Ich hatte eine Nikon D80, dann wurde sie zu groß. Ich bekam eine Samsung NX. Dann wollte ich eine Retro-Kamera, holte mir die Olympus PEN, vermisste einen Sucher, kaufte mir eine Pentax K20D.

Dann befiel mich die Phantasie, mit Film zu fotografieren. Ich kaufte eine Olympus XA, eine Pentax 110 und eine Pentax Optio i10. Dann wieder musste es die bestmögliche Bildqualität sein. Ich erstand eine Fuji 6×9 und jede Menge Filme. Als nächstes hielt ich mich für einen zweiten Ansel Adams und kaufte eine speziell angefertigte Großformatkamera mit Graflex-Rückteil, einen Fuji Readyload- und einen Polaroid-Halter mit Unmengen an Film. Dann wieder war mir alles zu groß, und ich erwarb eine GXR, dann noch eine, dann noch eine, noch eine … ich besaß einen Alienbee-Ringblitz und zwei Sunpak 120j, einen Haufen Blitze, Reflektoren, einen Vagabond Battery Pack und so weiter – und das ist die Kurzversion! Ich hatte noch weitere Kameras wie die Sigma DP1 und andere … ich erinnere mich nicht mehr, wie ich das alles begründete.

AAS ist überall

Es ging allerdings nicht nur um Kameras. Ich hatte PDAs und Handys: Nokia N900, N800, E90, Sony Experia, irgendein HTC Smartphone, den Nokia Communicator 3200, NTT Docomo Sigmaron III, HP Jornada 720, Nec Mobilepro, Sony Clie z, einen Haufen Palm-PDAs und und und … Gott sei Dank habe ich mich nicht zu sehr mit Kamerataschen beschäftigt. Ein sicheres Zeichen für AAS ist, wenn man anfängt, nicht nur Kameras zu kaufen, sondern auch alles andere wie Taschen, Zubehör und sonstigen Schnickschnack.

Ich war nicht reich

Mann, Sie müssen glauben, ich sei reich, oder? Nein, ich musste etwas von meinem alten Kram verkaufen, wenn ich neuen wollte. Ich habe dabei immer draufgezahlt und musste noch Gebühren für ebay und Paypal berappen. Insgesamt habe ich Tausende Dollar verloren; ehrlich gesagt will ich es gar nicht genau wissen. Ich hätte das Geld sparen, ein Haus oder eine Ausbildung anzahlen können. Ich weiß noch, dass die Familie meiner Frau mich für reich hielt, weil ich all diese Kameras besaß. Mir war das unangenehm, aber als Süchtiger fand ich dafür Begründungen und sagte mir, dass sie unmöglich begreifen könnten, was ein Fotograf wirklich braucht. Die Wahrheit ist, dass man nicht viel Ausrüstung braucht, um großartige Werke zu schaffen.

Ich habe nie etwas ernsthaft betrieben

Es ist gut, all diese Ausrüstung zu besitzen, wenn man damit etwas Sinnvolles macht. Das war nicht der Fall. Ich verknipste zwei Rollfilme mit der Fuji 6×9 und verkaufte sie mit 19 Filmen HP5. Das Großformat? Etwa sieben Aufnahmen. Die ganze Beleuchtungsausrüstung? Ich hatte sogar einen 90-Zoll-Schirm! Ich habe gerade mal eine Handvoll Aufnahmen damit gemacht. Ich habe kaum Substanzielles mit all meinen anderen Kameras produziert.

Während meiner ganzen Karriere als professioneller Kamerabesitzer stagnierte ich, wenn es ans Fotografieren ging. Ich hatte nie im Blick, was ich gerade jetzt tun könnte, sondern immer nur, was ich später tun könnte, wenn ich eine weitere Kamera oder noch ein Objektiv hätte.

Sucht verstehen

Folgendes half mir, AAS zu verstehen. Es ist eine Art Götzenanbetung. Normale Götzenanbetung stellt irgendetwas über Gott (die eigene Person, Geld …), aber AAS ist eine Form, bei der man Ausrüstung über Fotografie stellt. Das Hauptziel ist nicht Fotografie, sondern die Anschaffung glänzender neuer Spielsachen.

Die Lüge

Am besten belügen wir uns selbst, weil wir uns glauben. Ich brauchte all diese Kameras nicht, kaufte sie aber. Ich hatte, so sagte ich mir, Gründe, sie zu kaufen. Ich hatte, sagte ich mir ebenfalls, auch gute Gründe, sie zu verkaufen. Der Satz, der es immer richtete, war: „Es ist eine Investition.“ Alle meine Kameras waren für mich Investitionen. Aber Investitionen sind wertlos ohne Hingabe. Der Kauf der 4×5-Kamera war eine „Investition“ in meine Landschaftsfotografie. Was macht es schon, dass ich Landschaftsfotografie nie ernsthaft betrieben habe? Die einzige „Landschaft“, die ich aus dieser Kamera herausgeholt habe, war ein leerer Schulhof bei nautischer Dämmerung. Die Aufnahme ist immer noch im Filmhalter. Ähnlich geht’s meinen zwei Rollen 120er-Film, meinem Haufen 35-mm-Dosen und allen meinen 110er-Filmbüchsen.

Irgendwie glaubte ich der wiederkehrenden Lüge, dass mein Fotografendasein entfesselt würde mit einer neuen Kamera, einem neuen Objektiv. Wie viel besser würde ich sein! Ich habe den fehlenden Fortschritt in meinen Fotos nicht zur Kenntnis genommen, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, Kameras zu kaufen, statt etwas zu lernen oder zu fotografieren.

Die Wahrheit

Die Wahrheit ist, dass wir nicht viel Ausrüstung brauchen; nur das Nötigste. Streetfotografen brauchen zum Beispiel weniger als Hochzeitsfotografen. Tatsächlich gibt es keine vollkommene Kamera, nur Kompromisse. Was ich für die beste Kamera halte, wird Sie vielleicht ärgern – und umgekehrt. Jede Kamera hat ihre Macken, aber die sind nicht das Ende der Welt. Versuchen Sie mit ihnen klarzukommen. In all den Jahren, in denen ich Kameras gekauft und verkauft und Geld verloren habe, hätte ich ein so viel besserer Fotograf werden können. Es wäre nicht untertrieben zu sagen, alles, was ich zum Fotografieren brauche, ist eine Kamera (bezahlte Arbeit vielleicht ausgenommen). Meine Ricoh GRD IV wäre perfekt, aber im Ernst: Irgendeine Kamera hätte es genauso getan, sogar eine veraltete.

Der Teufelskreis

Wer die X100 gekauft hatte, fühlte sich bald eingeschränkt wegen der fehlenden Wechselobjektive. Wer die X-pro gekauft hatte, fühlte sich eingeschränkt, weil er nicht noch ein Objektiv hatte. Besaß er sie alle, fühlte er sich eingeschränkt, weil APS-C so klein ist. Eingeschränkt fühlte man sich auch durch den Dynamikumfang des Digitalen. Man kaufte eine Fuji 6×9 (großartige Kamera), fühlte sich eingeschränkt durch die Größe und die fehlende sofortige Rückmeldung des Films – und kehrte zum Digitalen zurück. Es ist ein Teufelskreis, und er wird sich endlos drehen, wenn wir nicht eine Bremse einbauen. So wie geschildert wäre es mir ergangen, hätte ich mich für die X100 entschieden. Es geht immer so weiter, man findet immer einen Haken und landet schließlich bei einer Kamera, die der anfänglichen ähnelt.

Was Fotografen fehlt, die alles haben

Ich hatte viele Kameras, aber ich könnte alle besitzen und hätte eines doch nicht: genug. Wann ist die Menge unserer Ausrüstung groß genug? Wann ist ein Objektiv mehr genug?

Wenn Ausrüstung zur Bestätigung wird

Olivier der Routinier. Es reimt sich, also muss es stimmen. Ich bin ein Fotograf! Woran zeigt sich das? An Kameras. Es gibt nur zwei Wege, sich selbst als eines Fotografen zu versichern: entweder indem man seine Ziele verfolgt, oder indem man sich hinter Kameras versteckt. Ich wählte die zweite Möglichkeit. Je besser die Kamera, desto breiter die Säule, hinter der ich mich verstecken konnte.

Immer mehr kaufen aus Unsicherheit

Dann begriff ich, was vor sich ging. Ich war unsicher als Fotograf, also fand ich Sicherheit in Kameras. Mit einer neuen Kamera glaubt man, es mit Eugene Smith aufnehmen zu können. Doch nach dem Rausch brauchte ich die nächste Dosis. Darum konnte ich nie genug Kameras haben. Ich brauchte mehr und mehr Zeug, um mich zu verstecken, um mich selbst zu bestätigen. Ich musste die Kamera ansehen und mir sagen: „Keine Sorge, Mann. Du hast eine Kamera, also bist du ein Fotograf.“ Heute bin ich als Fotograf meiner sicher, weil ich mir über meine Ziele und Wege im Klaren bin. Ich werde jeden Tag besser. Ich brauche keine Kamera, um mich sicher zu fühlen, denn heute traue ich mir selbst zu, etwas zustande zu bringen.

Kritische Selbstgespräche eines Ex-Ausrüstungssüchtigen

Wie ich anfing, mich von AAS zu befreien

Ich wusste, dass es ein Ende haben musste. Ich hatte so viel Kram, dass es jedes Mal eine Diskussion mit meiner Frau gab, wenn ich neuen wollte. „Es ist eine bessere Kamera“, „Sie ist schärfer als meine“, „Sie ist kompakter“, „Sie kann 5 Bilder pro Sekunde“ …

Sie wissen, wie das ist, wenn man zu oft „Wolf!“ gebrüllt hat? Sie akzeptierte meine Rechtfertigungen nicht, trieb mich aber auch nicht in die Enge. Ich wäre ohnehin in die Defensive geraten, schließlich bin ich ein Fotograf. Und nur ein Fotograf weiß, was er braucht. Stimmt’s?

Ich habe heute kein AAS mehr. Ich habe etwas unternommen, die Gewohnheit über Bord zu werfen. Ähnlich gehen Anonyme Alkoholiker und andere Entzugseinrichtungen vor. Zwei Schritte befreiten mich von der Sucht: alte Ansichten durch neue ersetzen und die Kamera überwinden. Aber um die AAS-Gewohnheit loszuwerden, lassen Sie uns einen Blick darauf werfen, wie Gewohnheiten funktionieren.

Direktive eins

Haben Sie mal Robocop gesehen? Diesem Androiden waren Richtlinien einprogrammiert: die Direktiven. Auch wenn er wollte, konnte er nicht gegen sie verstoßen. Eine lautete zum Beispiel „Schütze Unschuldige“. Gewohnheiten sind wie Direktiven; sie beherrschen einen, auch wenn man es nicht will. Spieler wollen ihr Geld nicht verlieren, tun es aber trotzdem, sie können nichts dagegen tun. Das wirklich Interessante ist: Man kann genau wie Robocop sein Hirn neu verdrahten, um Gewohnheiten zu ändern. Ihr Gehirn ist versessen auf den Autopilot-Betrieb, es wäre sonst schnell überfordert. Also erfindet es Gewohnheiten, um Dinge automatisch zu erledigen. Gewohnheiten umgehen den Verstand. Wenn AAS eine Gewohnheit ist, werden Sie Kamera oder Objektiv kaufen, ohne wirklich darüber nachzudenken. Das beliebte Buch „Die Macht der Gewohnheit“ von Charles Duhigg zeigt das Beispiel eines Mannes mit extrem schwachem Kurzzeitgedächtnis. Er konnte keinen Plan seines Hauses zeichnen, Küche oder Bad aber ohne Probleme aufsuchen – weil das Gewohnheiten waren, eingraviert in seinem Hirn.

Die AAS-Gewohnheit

AAS ist eine Sucht, weil es eine Gewohnheit ist. Wir konditionieren unser Gehirn, auf bestimmte Auslöser auf bestimmte Weise automatisch zu reagieren. Zuerst die schlechte Nachricht: Gewohnheiten kann man nicht löschen. Die gute: Man kann sie überschreiben. Jede Gewohnheit, auch AAS, hat drei Teile: Auslöser, Handlung und Belohnung.

Auslöser + Handlung + Belohnung = AAS-Gewohnheit

AAS-Auslöser

Ein Auslöser ist natürlich etwas, das ein Handlungsmuster in Gang setzt. Im Falle von AAS waren meine Auslöser Foren und Ausrüstungs-Webseiten. Er kann aber alles Mögliche sein: ein Freund, der über Kameras spricht, oder der Anblick einer Kamera in freier Wildbahn. Mich traf es bei meinen Streifzügen durch Fotoblogs (wo es um Fotografie gehen sollte, tatsächlich aber um Ausrüstung geht) – Kamera- und Objektiv-Pornos. Vollends, wenn es für diese Kameras etwa noch schicke Lederhüllen gab. Egal, ob auch noch tolle Bilder zu sehen waren, die mit dieser Kamera aufgenommen wurden. Allein der Anblick der Kamera erregte mich.

AAS-Handlung

Sie unterscheidet sich von Person zu Person, doch sobald der Auslöser betätigt war, fühlte ich mich unwohl: Ich muss diese Kamera haben, dieses Objektiv! Ich kann nicht so weiter fotografieren. Meine Bilder sind wertlos ohne dieses Teil. Was kann ich verhökern? Zwei oder drei Kameras, die ich entbehren könnte? Vielleicht noch eine Kameratasche drauflegen? Packe ich das noch nach der Miete? Ich brauche diese Dinger! Gewöhnlich sage ich mir, ich würde die neue Kamera nach dem Verkauf der alten bestellen, aber wenn ich das Geld habe, kaufe ich sie sofort.

AAS-Belohnung

Ich glaube, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage, dass die Belohnung von AAS sofortige Erfüllung ist. Gott ja, man fühlt sich, als könne man endlich ein Fotograf sein, endlich ist es soweit, man wird verdammt gute Bilder machen. Es ist die großartigste Kamera aller Zeiten, und Eugene Smith wird vor Neid platzen. Aber die Euphorie ist nicht von Dauer, warten Sie nur ein paar Monate, dann haben Sie einen Teufelskreis, der Zeit und Geld kostet.

Ein Beispiel

Bei der Auflistung meiner Erwerbungen habe ich einen großen, dummen Kauf vergessen: die Nikon F90. Ich nehme ihn als Beispiel für die AAS-Gewohnheitsschleife. Ich surfte damals durchs Internet und landete bei Wikipedia, als ich – wumm! – dieses Bild sah:

Das Bild hatte eine unglaubliche Wirkung auf mich. Ein PDA, Speicherkarten, Kameras! Ich fühlte mich wie ein gleichzeitiger Fuß- und Erdbeerfetischist (gibt’s sowas überhaupt?), der ein Bild betrachtete, auf dem jemand barfuß Erdbeeren zerdrückt. Abartig, aber Sie verstehen schon. Es war meine erste Begegnung mit dem Nikon Data-Link-System. Das war der Auslöser.

Die Handlung: aber auch alles darüber herausfinden; ist es überhaupt verfügbar? Kann ich es mir leisten? Wie viel brauche ich? Muss ich was verkaufen? Gibt’s das bei ebay? Bei Amazon? Ich prüfte mein Konto: Bleiben nach der Miete ein paar Dollar übrig? Ich kaufte einen idiotischen PDA für 80 Dollar, ein paar seltene Karten für 40 Dollar; das Kabel bekam ich für 40 anstatt 60 Dollar (hey, besser als nichts!).

Die Belohnung: der Himmel. Ich stellte das Ding auf ein Stativ und machte Selbstportraits von meiner Frau und mir am Strand. Ich muss wie ein Volltrottel ausgesehen haben mit dem PDA, auf dem ich mit einem Knopf scharfstellte und mit einem anderen auslöste. Die Karten konnten so viele Informationen speichern wie ISO, Blende und alles! Ich hatte einen PDA und etwas Nützliches für mein Fotografendasein. Super!

Der Spuk verschwand nach nicht mal einem Monat. All das für die Erfahrung einer überschätzten Fernbedienung und eines Datenrückteils? Es war keine rationale Entscheidung. Ich kaufte es aus Gewohnheit: Ich will’s, ich brauch’s, ich kauf’s.

Die AAS-Gewohnheit umprogrammieren

Offenbar lässt sich unser Gehirn zur Überwindung von Gewohnheiten neu verdrahten, indem man die Handlung ändert, Auslöser und Belohnung aber beibehält. Wenn Sie Lust auf Kekse haben, gab es einen Auslöser (vielleicht schon, das Wort zu lesen?), und jetzt wollen Sie die Belohnung: sich gut fühlen. Um diese Gewohnheit über Bord zu werfen müssen Sie einfach lernen, die Handlung (Keks essen) durch eine andere zu ersetzen (Apfel essen). Genau das tat ich: Ich ersetzte das AAS-Muster durch ein anderes. Tatsächlich gibt es zwei Aspekte der AAS-Handlung: die geistige Auseinandersetzung und die Aktion. Beide müssen meiner Ansicht nach neu verdrahtet werden. Jedes Mal bei einem AAS-Auslöser setzte eine Kaskade von inneren Stimmen ein, von „Ich brauche das“ bis zu „Ich werde ein besserer Fotograf sein“ und dergleichen. Diese Stimmen sind die Rechtfertigung zum Kauf neuer Ausrüstung. Man muss sie angehen, bevor man die Aktion angehen kann. Nochmal: Wenn ich mich wie ein Prediger anhöre – tut mir leid, ich predige zuallererst mir selbst, und manchmal brauche ich einen Tritt in den Hintern.

Die inneren Stimmen: neu ist gut

Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist – ich liebe neue Sachen. Es muss kein neues Produkt sein, nur neu für mich. Eine der inneren Stimmen sagte: „Hey, Olivier, du wirst ein paar neue Sachen kriegen. Stell‘ dir vor, wie es sich anfühlen wird, die neue Kamera in der Hand zu halten! Mit ihr wird alles anders, aber zuerst musst du sie haben!“ Der Wendepunkt war, als ich mich fragte, wann es nichts Neues mehr geben werde. Die Antwort: nie. Es wird immer etwas Neues zu kaufen geben, eine neue Kamera, ein neuer Schnickschnack. Wenn ich damit nicht aufhörte, würde es mich bis auf den letzten Tropfen aussaugen. Ich sagte zu mir: „Es wird immer eine bessere Kamera geben als deine. Finde dich damit ab.“ Was bedeutet es denn, wenn eine neue Kamera besser ist als meine? Hört meine in dem Moment auf, gute Bilder zu machen? Nein. Also warum überhaupt eine neue kaufen? Ich musste aufhören, über den möglichen Besitz zu fantasieren, und anfangen, den tatsächlichen schätzen zu lernen. Die ganze Absicht hinter meiner Webseite zur GRD IV ist, den Leuten zu mehr Freude an ihrer Kamera zu verhelfen. Und nach einiger Mailkorrespondenz glaube ich ins Schwarze getroffen zu haben.

Die inneren Stimmen: Ich werde glücklicher sein

„Olivier, diese Kamera wird dich so viel glücklicher machen! Denk‘ bloß, was du mit ihr alles bewältigen kannst!“ Sicher wäre ich glücklich. Für etwa eine Woche … ist das echtes Glück? Nein, es ist sein Gegenteil. Nach dem Rausch wäre ich bald wieder deprimiert, weil ich nicht noch eine Kamera habe. Jedes Mal, wenn ich in meinem Kopf „Es wird dich glücklicher machen“ höre, sage ich mir, wahres Glück heißt, sich am Vorhandenen zu erfreuen. Wie ist das mit Ihnen? Ich besitze weniger als 99 Prozent der US-Amerikaner, gehöre aber zum reichsten einen Prozent des Erdballs. Alles eine Frage der Perspektive. Genießen Sie doch mal die nächste Dusche! Ich wuchs ohne fließendes Wasser auf. Meine Dusche war ein Eimer kaltes Wasser mit einem Schuss heißes.

Diese Art von inneren Stimmen sind am leichtesten zu besiegen. Wenn sich ein Gedanke an eine neue Kamera einschleicht, richte ich den Blick auf meine Ausrüstung und denke daran, wie sehr ich meine zuverlässige Ricoh GRD IV und meine NEX 7 liebe, und nicht, was eine neue Kamera für mich tun könnte. Ich kann vermutlich alle meine Vorstellungen mit meiner momentanen Ausrüstung umsetzen. Ich denke daran, wie glücklich ich allein durch den Besitz dieser Ausrüstung bereits bin und dass ich genug Zeit für Fotografie habe, während mancher sich allein für seine Miete abstrampeln muss. Damit wische ich verlässlich die Lüge vom Tisch, ein neues Ausrüstungsteil werde mich glücklich machen. Dankbarkeit ist das Mittel der Wahl. Es geht mir besser als 99 Prozent der Weltbevölkerung, und ich brauche eine neue Kamera, um glücklich zu sein?

Die inneren Stimmen: Du wirst zu einem besseren Fotograf

Das mag ich besonders: „Olivier, 9 Bilder pro Sekunde! Das macht aus dir einen großartigen Fotografen! Du brauchst diese 1.4-Linse, Kumpel, die wird den Hintergrund bis zum Mond bokehsieren, du wirst bessere Portraits machen!“ Vielleicht werden Ihre schöpferischen Möglichkeiten erweitert, aber ein besserer Fotograf wird schwerlich aus Ihnen. AAS neigt dazu, Geräteeigenschaften grotesk über zu betonen, als wären sie der Heilige Gral, auch wenn man sie bisher nie gebraucht hat. Ich habe eine 10-fps-Kamera; ich habe sie nie benutzt, nicht mal auf Veranstaltungen. Ich hatte ein 1.4er; benutzte es aber so gut wie nie bei dieser Öffnung, weil die Schärfe zu oft daneben lag. Keine meiner Kameras machte mich zu einem besseren Fotografen, soviel ist sicher. Sie hatten ihre psychologische Wirkung auf mich, aber hauptsächlich blockierten sie meine Entwicklung. Ich hatte zu viel Ausrüstung, die ich zu schnell wechselte und die mir die Zeit für wirklich Wichtiges stahl.

Auf der alten Ausrüstung beharren, wenn alle anderen eine neue kaufen – das wird einen besseren Fotografen aus Ihnen machen. Meine Mutter war eine Kunsttöpferin. Ich beobachtete oft ihre Hände, wie sie den Topf formten und nach ihrer Vorstellung gestalteten. Ihr Werkzeug waren ihre Hände. Sie wusste, dass der kleinste Fehler drastische Auswirkungen haben konnte, während sich der Topf drehte. Aber sie sah nie auf ihre Hände, und das war auch nötig. Sie sah auf das Bild des Topfes vor ihrem inneren Auge.

Mein Werkzeug und das Ihre ist die Kamera, und je besser Sie es kennen, desto weniger wird die Kamera zwischen Ihnen und Ihren Vorstellungen stehen. Ich glaube, ein Schlüssel zu besserer Fotografie ist, nicht die Kamera zu erneuern, sondern die Beziehung zu ihr, sie zu kennen wie den eigenen Handrücken. Der Vorteil dabei: Sie werden sich nicht von ihr trennen wollen. Letzten Endes ist die beste Kamera die, die Sie lieben.

Ich mache mir nichts vor: Ich hortete Ausrüstung, weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass ich kein guter Fotograf war, also kaufte ich mehr und mehr, um das zu verbergen. Kompensation einer Schwäche – das trifft es auf den Kopf. Ich sage nicht, dass es auf jeden zutrifft, aber auf mich traf es zu. Jede einzelne Anschaffung war eine Entschuldigung für meine Mittelmäßigkeit: Ich bin ein mittelmäßiger Fotograf, weil ich eine neue Kamera habe, die ich erst zu beherrschen lerne. Sie können nicht erwarten, dass ich mit etwas ganz Neuem großartige Bilder mache, oder?

Wundere mich noch immer, warum ich mich verstecken musste

Die inneren Stimmen: Du wirst beeindruckend aussehen

Diese Stimmen haben mich als Anfänger besonders getroffen. Große Spiegelreflex = sofortiger Respekt auf der Straße. „Kumpel, mit dieser Kamera in der Hand wirst du sowas von imponieren“, sagte ich zu mir, als ich meine schwerverdiente 500-$-Kamera zum Händler trug, um meine Nikon D80 zu kaufen. Je größer die Kamera, je lauter sie „Fotograf!“ schreit, umso besser. Der Respekt dem Fotografen gegenüber liegt in seiner Ausrüstung. Es verfehlt nie seine Wirkung, die Kurven seiner Kamera zu präsentieren. Dachte ich.

Wenn ich ein anerkannter Fotograf sein wollte, musste ich aufhören, mein Geld für Ausrüstung hinauszuschmeißen, und wirklich anfangen, etwas zu produzieren. Wenn etwas aufkeimt wie: „Diese Kamera sieht toll aus“, sage ich mir sofort: „Ich kann tolle Bilder mit meiner jetzigen Ausrüstung machen.“ Ich verlagere die Aufmerksamkeit vom Aussehen der Kamera zum wirklich Wichtigen: zu den Bildern.

Es ist schwer zu widerstehen, denn heute befinden wir uns auf einer Art digitalem Plateau, auf dem jede Kamera eigentlich gut genug ist. Also ist das Unterscheidungsmerkmal nicht mehr die Anzahl der Megapixel wie Jahre zuvor, sondern das Aussehen. Ich selbst habe eine Schwäche für das Aussehen von Sucherkameras. Die X-Pro führt mich von Zeit zu Zeit in Versuchung, aber ich bin schnell dabei klarzustellen, dass gutes Aussehen nichts zur Bildqualität oder zum fotografischen Auge beiträgt.

Die inneren Stimmen: Jeder hat jetzt diese neue Kamera!

„Mach‘, was du willst, Olivier, aber alle besorgen sich diese neue Kamera. Das solltest du auch. Es ist, wie ein iPhone 1G zu haben.“ Das sind die altbekannten inneren Stimmen des Mitläufers: Nimm, was alle nehmen.

Nach meiner Erfahrung bereitet es ein heimliches Vergnügen, das zu benutzen, was andere als veraltet empfinden. Tolle Ergebnisse mit einer unterlegenen Kamera hervorzubringen verschafft größeren Respekt, als tolle Bilder mit einer Vollformatkamera zu schießen. Sehen Sie sich diese Bilder von einer einfachen 5-Megapixel-Kamera an. Meine NEX7 wird mich niemals so beeindrucken. Sowas stärkt das Selbstvertrauen mehr als neue Ausrüstung, denn es verlagert die Aufmerksamkeit auf den Fotografen und weniger auf die Ausrüstung.

Die meisten Artikel meines Blogs wurden mit einem 20 Jahre alten HP100lx-Computer geschrieben. Die meisten meiner Fotografien stammen von Kameras mit kleinen Sensoren. Wie sollte ich da keine Stärkung des Selbstvertrauens spüren, wenn jemand mit einem glänzenden neuen 2000-Dollar-Computer bloggt oder mit einer 3000-Dollar-Kamera fotografiert? Wohlgemerkt: Daran ist nichts verkehrt, aber wenn ich so eine Ausrüstung hätte, würde es meinem Selbstvertrauen nicht ebenso gut tun, wie es der Gebrauch veralteter Ausrüstung tut. Denn wer ist beeindruckender? Die Ägypter, die ihre Pyramiden mit Holz, Stein und Muskelkraft errichteten, oder das Bauunternehmen, das moderne Gebäude mit Computern und Berge versetzenden Gerätschaften hochzieht?

Die inneren Stimmen: Ich sollte zu Film zurückkehren

Oh Mann, diese Stimme ist die tollste. Diese grässliche innere Stimme hat mich so viel Geld gekostet! Ich kaufte eine Spezialanfertigung einer 4×5-Kamera und all die Filme und Rückteile … ungefähr 1.500 $ für die Kamera, drei verschiedene Rückteile und jede Menge Filme. Nicht mal zehn Aufnahmen habe ich gemacht und das Ding für katastrophale 500 Dollar verkauft – ohne Provisionen und Gebühren. Ich glaube, Digitalfotografen sind für diese innere Stimme besonders anfällig. Jedes Mal geht es darum, wie viel besser der Dynamikumfang sei oder die Farben. Har, har! Diese Stimmen können mich nicht mehr narren. Folgende Unterhaltung findet dann in meinem Kopf statt:

„Also, Olivier, lass uns das klarstellen: Du möchtest zu Film zurückkehren, weil du bessere Dynamik und Farben möchtest, die du digital nicht bekommst, stimmt’s?“

„Ja, warum?“

„Schön, Herr Filmfotograf, sag‘ mir, was du machst, wenn du die Aufnahmen beendet hast.“

„Ich lasse sie entwickeln.“

„Ja, und was noch?“

„Ich lasse sie scannen.“

„Aaah, scannen?“

„Ja – na und?“

„Du machst im Grunde also aus einem analogen ein digitales Bild, und all das Gerede über Dynamik und Farben wird lächerlich, weil die beim Scannen wieder rausfliegen. Deine ganze Extraausrüstung spielt keine Rolle mehr, und du bist wieder beim digitalen Bild gelandet. Wäre es nicht besser, eine Digitalkamera einzusetzen, die, ähm … von vornherein für den sRGB-Farbraum gemacht wurde?“

Ich entwickelte nie eine Filmrolle. Trotzdem drängte mich AAS, eine neue Filmkamera zu kaufen. Kapieren Sie das?

Das macht der Sache gewöhnlich an Ort und Stelle ein Ende. Warum sollte ich weitere Schritte einplanen und weiteres Geld einsetzen, bloß um wieder beim Digitalbild zu landen? Ich halte Ausschau nach einem Contax-G2-Gehäuse, für gut 250 Dollar, weil ich ein paar Objektive für meine NEX 7 habe. Wäre doch das ultimative Digital/Film-Team, oder? Es wäre sinnvoll, wenn ich manches analog und manches digital machen würde, aber wenn ich sowieso beim Digitalbild lande, warum dieses Geld am Anfang ausgeben?

Die inneren Stimmen: Ich werde aus den ebay-Verkäufen Geld herausholen

Kameras sind wie Autos: Sie veralten im Moment, da sie den Händler verlassen. Manchmal hofft man, der Verkauf einer Kamera würde zusätzlich zur neuen Kamera ein bisschen Taschengeld einbringen. Es passiert selten. Durchschnittlich verlor ich 100 – 200 Dollar pro Kamera, Gebühren nicht eingerechnet. Meine Ricoh GXRs … oh Mann, an denen habe ich besonders verloren, weil sie unbeliebte Kameras waren. Sie sehen: Nicht jeder hat AAS. Wenn ich auf ebay kaufte, war ich oft ungeduldig und wollte sofort kaufen, dabei verlor ich einiges Geld, das ich mit etwas Geduld für später endende Auktionen gespart hätte. Habe ich schon erwähnt, dass ich eine Schwäche für portable Speichermedien hatte? Aber ich schweife ab. Nicht jeder handelte also wie ich. Ich war gewöhnlich ungeduldig beim Verkauf der alten Kamera, weil ich ungeduldig beim Kauf der neuen war. Ich setzte die Auktionen also für höchstens drei Tage an und machte besonders attraktive Angebote für „Sofort kaufen“, gewöhnlich um 50 $. Sehr selten verkaufte ich teurer, als ich gekauft hatte.

Die inneren Stimmen: Du brauchst diese Kamera, dieses Objektiv!

„Olivier, du kriegst es nicht hin ohne diese Kamera, ohne dieses Objektiv!“ Das glaubte ich, als ich AAS frisch hatte. Nehmen Sie meine Begründung für den Kauf der 4×5-Kamera. Ich sagte mir selbst, ich bräuchte diese Kamera für Landschaftsfotografie. Junge, ich würde die Nationalparks besuchen, Berge erklettern und ultimative Bilder schießen. Ich sage euch, ich werde der nächste Ansel Adams!

Tatsächlich hatte ich bis dahin nicht eine traditionelle Landschaftsaufnahme gemacht. Ich bin nie zur magischen Stunde aufgestanden, ich habe nie einen Fuß in jene Landschaften gesetzt, die Long Island dem Fotografen bietet. Es ist eine Tatsache, dass ich nicht viel brauchte, um ein Fotograf zu sein. Ich war kein Profi, alles, was ich brauchte, war eine einzige Kamera. Für mich als Berufsfotografen sind heute die NEX 7 und ein paar einfache Objektive (12, 24 + 90 mm) mehr als genug.

AAS neigt zu dem Versprechen, man werde nach dem Kauf ein anderer Fotograf. Ich kaufte den ganzen Beleuchtungskram, weil AAS mir sagte, dass ich ein Modefotograf sein würde (Auslöser war ein Freund, der eine solche Ausrüstung besaß). Ich missachtete, was mein Herz mir sagte, und kaufte. Meinen Blitz benutzte ich niemals, nicht einmal für ein Portrait. Was für ein Fotografendasein mir meine AAS-Stimmen für den Fall eines Kaufs auch versprechen – ich bedenke meine bisherigen und künftigen Ziele, und wenn das neue Gerät dazu nichts beizutragen hat, verwerfe ich dieses Versprechen als Unsinn. Das erinnert mich an die 4×5-Kamera. Ich verkaufte sie, weil Film einfach zu viel Fummelei bedeutete (kann man sagen: irrational? Nachdem ich all den Kram gekauft hatte?). Aber ich fantasierte immer noch von Landschaftsfotografie. Also ging es weiter, ich kaufte einen Gigapan-Panoramakopf – den ich vielleicht drei-, viermal benutzt habe.

Mehr Ausrüstung macht einen nicht kreativer

Die Geschichte der Menschheit beweist, dass man mit Beschränkungen mehr erreichen kann. Menschen, die fliegen können, erfinden keine Flugzeuge. Wer 200 Stundenkilometer schnell ist, erfindet keine Autos. Kreativität blüht in der Begrenzung, denn das Gehirn arbeitet problemlösungsorientiert. Sehen Sie sich diese Bilderauswahl an, alle mit einem 28er aufgenommen. Sie sind der Gnadenstoß für jede AAS-Attacke.

Es gibt eine Episode in den alten Batmanfilmen, bei denen das Budget so schmal war, dass eine geplante Kampfszene zu teuer geworden wäre. Da kam den Produzenten eine geniale Idee: Sie ließen Robin in etwa sagen: „Mensch Batman, das wird jetzt brutal, mach lieber das Licht aus!“ Es wird dunkel, man hört nur noch „Rumms“ und „Krach“ und sieht entsprechende Comicelemente – die billigste Kampfszene aller Zeiten und Kreativität aus der Beschränkung in Aktion. Ihre Schöpferkraft erblüht, wenn Sie die Möglichkeiten verringern, nicht erweitern. Als Grafikdesigner weiß ich das aus erster Hand. Die besten Designs verwenden nur eine Handvoll Farben und Elemente.

Ich erspare Ihnen Hunderte (Tausende?) und viel Schmerz

Mein Schaden ist Ihr Nutzen. Ich habe Zeit und Geld durch AAS verloren. Lassen Sie mich Ihnen sagen, was ich gelernt habe:

  • Ausrüstung macht Sie nicht besser
  • Zu viel Ausrüstung macht Sie schlechter
  • Je mehr Zeug Sie haben, umso seltener verwenden Sie jedes Teil (Streetfotografen sprechen von umgekehrter Proportionalität)
  • Mit Ausrüstung kann man Unsicherheiten verstecken
  • Je weniger Ausrüstung, umso kreativer
  • Größere Zufriedenheit mit weniger Ausrüstung

Eine ausgewogenere Betrachtung

Ich möchte nicht so klingen, als wollte ich nie mehr eine Kamera kaufen. Ich bin nur nüchterner geworden bei der Unterscheidung zwischen brauchen und wollen. Was man als Ausrüstungsfreak nicht tun sollte: sich in Foren und Blogs herumtreiben, wo es nur um Ausrüstung geht. Es gibt eine gesunde Balance. Ich rede über Ausrüstung in meinem Blog, weil es eine Notwendigkeit ist, ein Erfordernis, aber es ist nichts Vitales. Vital ist die Fotografie, nicht die Ausrüstung. Wenn ein Blog behauptet, ein Fotografie-Blog zu sein, aber nur über Ausrüstung redet, bleiben Sie ihm fern, wenn Sie süchtig sind. Das ist so, als wollte man sich das Rauchen in einer Raucherbar abgewöhnen. Meine Lektion aus meinen AAS-Jahren ist einfach. Ausrüstung ist gut, aber es gibt mehr in der Fotografie als Kameras.

Ausrüstung kann ein Hindernis sein oder ein Sprungbrett. Es kann Sie blockieren auf dem Weg zum guten Fotografen – und ich glaube, der steckt in jedem von uns –, oder sie kann ein Sprungbrett für dieses Ziel sein. Mich behinderte sie viel zu lange, und ich glaube, Neulinge sind besonders gefährdet. Hoffentlich habe ich Sie genug erschreckt. Mein Abenteuer Fotografie begann mit AAS, doch unseligerweise habe ich dessen Feuer noch angefacht, und es brannte, bis mir das Holz ausging.

Jeder von uns kann etwas lehren, sei es durch gutes oder schlechtes Beispiel. Ich teile meine Erfahrungen mit Ihnen in der Hoffnung, dass Sie daraus lernen. Aber es ist noch nicht vorbei. Meine neue Gewohnheit ist: Sobald sich AAS ankündigt, begegne ich ihm mit dem bisher Gesagten. Aber zu AAS gehört auch Aktion. Wenn man die Aktion unterbindet – etwa den Kauf-Button zu klicken –, wird Ihnen keine neue Kamera ins Haus schneien.

Als nächstes beschreibe ich die Schritte, mit denen ich mich ganz von AAS befreite. Die inneren Stimmen können überwunden werden, aber wenn die AAS-Kaufhandlung es nicht wird, haben wir noch immer ein Problem.

Die Kamera loslassen: Schritte zur Befreiung von Ausrüstungssucht

Rückfall

Auf dem Weg der Genesung von der Ausrüstungssucht wäre ich fast rückfällig geworden, wenn ich nicht einen größeren Auslöser gefunden hätte, als Ausrüstung im Netz anzusehen. Damals fing ich an, mehr und mehr Fotobücher und Programme zu kaufen. Ich ertappte mich tatsächlich dabei, nach Software zu suchen, die ich gar nicht brauchte. Ich verlagerte also die Sucht von Ausrüstung zu Büchern und Programmen, und wenn ich nicht gleich einen Schnitt gemacht hätte, wäre der ganze Ärger von neuem losgegangen. Da entdeckte ich, dass ein Geldmuster über dem Kameramuster lag: Ich hatte mein Hirn auf kaufen, kaufen, kaufen konditioniert, wenn ich Geld hatte. Es war ein Muster im Muster. Achten Sie darauf, sich Ihrer Auslöser bewusst zu werden!

AAS-Handlungen durch Fotografieren ersetzen

Wenn AAS zuschlug, dann üblicherweise mit inneren Stimmen: wie toll die Kamera sei, wie glücklich ich sein würde. Dann wurde ich sofort aktiv, etwa um online nach Kameras zu suchen, meine Finanzen zu sortieren und dann „Kaufen“ anzuklicken. Mein Gehirn kann nicht zwischen guten und schlechten Gewohnheiten unterscheiden. Ich kann bloß die schlechten in gute verwandeln. Das ist der Schlüssel, denn Gewohnheiten können nur überschrieben werden, nicht gelöscht. Ich machte mir die Erwiderungen auf die inneren Stimmen derart zur Gewohnheit, dass sie automatisch auftauchten, wenn mir etwas Reizvolles vor die Augen kam, sprich: eine sexy Kamera im Halblederetui. Aber ich musste auch den AAS-Handlungen etwas entgegensetzen.

Die Weggabel

Stellen Sie sich eine Weggabel vor; jeder Schritt weiter nach links wird Sie weiter von der rechten Abzweigung entfernen. Ich bin sicher, es gilt nicht für jeden, aber für mich war es so: Je länger ich auf dem Ausrüstungspfad wandelte, desto weiter entfernte ich mich vom Pfad der Fotografie. Als ich das bemerkte, war ich sicher, dass auch das Gegenteil zutreffen musste. Was zum Kuckuck wollte ich eigentlich? Wollte ich wirklich der beste Fotograf werden, der ich sein könnte, oder wollte ich bloß Kameras besitzen? Beides ist in Ordnung; manche Leute wollen nur Kameras sammeln, aber ich war keiner von ihnen. Ich wollte ein Fotograf sein und zwar der beste, der ich sein könnte (das wird auch bis zu meinem Tod so bleiben). Nach dieser Seeleninspektion ging ich zurück zur Weggabel und nahm die andere Abzweigung. Ich befreite mich damit auch in kreativer Hinsicht.

Die Handlung ersetzen

Wie schon gesagt ist der Schlüssel zur Umformung von Gewohnheiten, Auslöser und Belohnung beizubehalten, aber die Handlung zu ändern. Anonyme Alkoholiker haben ein Kumpelsystem. Wurde ihr Auslöser betätigt, rufen sie einfach so schnell wie möglich einen Kumpel oder Mentor an und verlagern damit die Handlung von Alkohol auf Menschen. Ich kannte meine Auslöser; eine irre Kamera anzusehen genügte. Meine Belohnung war das Gefühl der Erfüllung. Ich besitze eine Kamera, also bin ich ein Fotograf. Der Besitz dieser Großformatkamera ließ mich glauben, in einer Reihe mit Ansel Adams zu stehen, mit dem Besitz jener Kleinbildkamera kam ich mir vor wie Bresson oder Kertész. Erfüllung war der Schlüssel. Ich wollte ein erfüllter Fotograf sein. Ich musste bloß etwas tun, das mir diese Erfüllung bescherte, ohne immer mehr und mehr zu kaufen.

Erfüllung finden

Ich sagte zuvor, AAS sei wie Götzenverehrung. Meine Heilung lag darin, einfach den Blick weg vom Idol auf die Quelle zu richten. Mein Idol war Ausrüstung, die Quelle war Fotografie. Je mehr ich mich in Fotografie vertiefte, umso weniger interessierte mich Ausrüstung. Ich begann, Ausrüstung als gut, AAS aber als Hindernis für meine fotografischen Ziele anzusehen. Wenn ich der beste Fotograf sein wollte, der ich sein könnte, musste ich weniger in Ausrüstung und mehr in Fotografie investieren. Das ist das einfache Geheimnis, und das war die Geburtsstunde meines Mottos: Zur Fotografie gehört mehr als Ausrüstung. Zuvor konnte ich nicht über die Kamera hinausblicken, aber jetzt sehe ich dahinter die Fotografie – eine viel interessantere Sache, als ich mir je vorstellen konnte.

Jede Tausend-Meilen-Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Ich sah das langfristige Ziel: ein Fotograf zu sein, also tat ich einfach den ersten Schritt. Jeder meiner Schritte brachte mich meinem Ziel näher und weiter weg von Ausrüstungsfragen. Und das waren die Schritte:

Glauben Sie an sich

Wenn Sie nicht an sich glauben, wird es niemand für Sie übernehmen. Bevor ich irgendwas unternahm, glaubte ich an zwei Dinge: Ich werde besser und ich werde die Kamera loslassen können. Es ist eine Willensfrage. Ob Sie an Ihr Versagen oder an Ihren Erfolg glauben – Sie haben wahrscheinlich recht.

Die eigene Ausrüstung schätzen

Ich habe beim Blick auf meine Ausrüstung betont, dass ich eine bewusste Anstrengung unternehme, sie zu würdigen. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich die meisten, wenn nicht alle meiner letzten Käufe nicht würdigte. Wenn jemand im Netz sagt, wie sagenhaft irgendeine andere Kamera sei, denke ich an meine Ausrüstung und wie sagenhaft sie ist. Sagt also jemand: „XXX ist unglaublich“, dann verweile ich nicht bei dieser Kamera und ihrem Aussehen, sondern bei meiner eigenen und dabei, wie unglaublich sie ist. Ich halte es für eine Notwendigkeit, bewusst dankbar an die eigenen Ausrüstung zu denken, denn ich möchte dem Gedanken keinen Raum geben, eine andere Kamera würde mir mehr bieten – das ist die klassische AAS-Ausrede.

Gehen Sie raus und fotografieren Sie

Ein Leser schrieb mir, er habe sich gerade über eine bestimmte Kamera informiert, als er über meine Webseite gestolpert sei. Ich hätte ihn dazu bewegt, zu nehmen, was er besaß, und fotografieren zu gehen. Das bringt es recht gut auf den Punkt. Spüre ich die Versuchung, mich einem weiteren Kauf zu widmen, gehe ich einfach raus und fotografiere. Geht das nicht, plane ich in Gedanken den nächsten Fotoausflug. Auch wenn ich damit nicht zu Ende komme – es spielt keine Rolle, denn das Entscheidende ist, „Hol‘ dir was Neues“ zu ersetzen durch „Geh‘ raus und fotografiere“. Und je mehr gute Bilder Sie mit Ihrer Kamera machen, umso mehr werden Sie sie schätzen.

Arbeiten Sie an Ihrer Art zu fotografieren

Manchmal können Sie also nicht rausgehen und fotografieren. Das ist in Ordnung, es gibt andere Wege, seine Fotofähigkeiten zu verbessern. Sie können sich immer Ihre Sammlung ansehen und einen frischen Blick auf Ihre alten Sachen entwickeln. Oder Sie können etwas über Fotografie lesen: wie man sich verbessert oder über frühere Fotografen. Oder Sie sehen eine Dokumentation oder arbeiten an Ihrem eigenen Blog.

Rechenschaft

Geben Sie Rechenschaft – sich selbst, aber hoffentlich einem Partner. Sagen Sie Ihrem Partner, sie werden kein neues Ausrüstungsteil kaufen. Hoffentlich wird Ihr Stolz Sie daran hindern, sonst versagen Sie vor den Augen eines anderen. Ich habe keinen formellen Partner, aber das Unangenehme der ständigen Erklärungen meiner Frau gegenüber waren auch eine Art Rechenschaft.

Nochmal: Erfüllung

Sie finden fotografische Erfüllung, wenn Sie auf Ihre fotografischen Ziele hinarbeiten. Mein Ziel ist, mich mit Fotografie auszudrücken, folglich erfüllt mich jeder Schritt in diese Richtung. Wenn Sie ein Profi sein möchten, werden Sie sich durch die Arbeit an professionellen Büchern oder Techniken erfüllt fühlen. Einfach gesagt: Sich mit den eigenen Zielen in Einklang zu bringen ist erfüllend. Bei einem AAS-Auslöser tue ich das automatisch; ich habe mein Hirn derart umgepolt. Entweder gehe ich fotografieren oder lese Fotoliteratur oder denke einfach über meine Art der Fotografie nach. Ich fühle mich dann erfüllt. Wenn man alles Gemüse aufgegessen hat, ist kein Platz mehr für Kekse. Es ist derselbe Auslöser, dieselbe Belohnung, aber eine andere Reaktion. Anstelle von mehr Ausrüstung will ich mehr Fotografie.

Der letzte Schlag: die Fotografie heiraten

Den letzten Schlag versetzen Sie AAS, wenn Sie die Fotografie heiraten. Sagen Sie Ihrem nervigen Freund, er habe seine Chance gehabt, aber Sie würden sich jetzt weiterentwickeln und heiraten. Schaffen Sie mit Ihrer Kamera etwas Greifbares. Was heißt das? Nun, Sie können etwas ausdrucken, einen Blog eröffnen, ein Projekt starten, einem Fotoclub beitreten … Mit Fotografie etwas Greifbares erschaffen erzeugt ein starkes persönliches Interesse an der Fotografie – es ist wie die Fotografie zu heiraten.

Ich empfehle wirklich, einen Blog zu schreiben. Es muss nichts Besonderes sein. Jedes Bild, das Sie dort hochladen, stärkt Ihre Willenskraft gegen AAS, weil Sie in Ihre eigene Art zu fotografieren investieren. Auch wenn Sie keine Kommentare erhalten, ist das in Ordnung, weil Sie sich mit Ihrer Fotografie zum eigenen Vergnügen beschäftigen. Wo wir gerade von Kommentaren reden: Was, wenn die Gründe für AAS zum Teil in der Aufmerksamkeit liegen, die sie online bekommt? Sie schreiben etwas über Ihre Kamera und bekommen Kommentare. Sie schreiben über Ihre Fotografie, und Sie bekommen wahrscheinlich keine … darüber sollte man nochmal nachdenken …

So habe ich in Fotografie investiert: Ich wollte ein Portfolio und zwang mich, die Bilder auch wirklich beizukriegen. Ich fühlte mich wie ein Schneekönig, derjenige zu sein, der meine Bilder gemacht hatte – ein viel höheres und dauerhafteres Gefühl als der kurze Rausch eines Ausrüstungskaufs. Viel später schrieb ich diesen Blog, und mit meinem Superpartner Don Streetshooter startete ich Street Presets und Inspired Eye. Viele meiner Leser sagen mir, dass sie bloß noch drei Dinge wollen: rausgehen, fotografieren und besser werden. Für mich bestätigt das meine Theorie, dass Investitionen in die eigene Fotografie AAS beseitigt. Amen!

Gedankenfutter

Die Quintessenz meiner vergangenen Suchterfahrung ist, wie ich glaube, dass sich Fotografie und Ausrüstung umgekehrt proportional verhalten. Je mehr man in Ausrüstung investiert, umso weniger Interesse findet sich an der Fotografie. Und umgekehrt. Das hat mich meine Erfahrung und meine Forschung (mich in Foren herumtreiben und so) gelehrt. Wenn Sie andere Erfahrungen gemacht haben, bin ich ganz Ohr. Der Sinn dieses Artikels ist nicht, Sie von der Sucht zu befreien, sondern die Sucht auf die Fotografie zu lenken. Ich war ein Ausrüstungssüchtiger, jetzt bin ich ein Fotografiesüchtiger. Ein großer Unterschied.

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7 Antworten zu Geständnisse eines ehemaligen Ausrüstungssüchtigen

  1. TOP! und für die weitere entwicklung des eigenen ‚ ich`s ‚ = http://www.co-kids.de // diese community beschäftigt sich mit dem sozialen umfeld und ehemaligen primärsüchtigen – denn es gibt dann noch die sucht hinter der sucht. grüsse

  2. Michael schreibt:

    Danke Olivier Duong und Wolfgang Bohnhardt!
    Nicht, dass ich es nicht gewusst hätte, aber so herrlich simpel und direkt auf den Punkt gebracht…? Und da dieser wunderbare Text nicht nur meckert, sondern eine gangbare Alternative anbot: `Die Gewohnheit ändern‘ , kann man ihn prima nutzen, sich jetzt aufs Fotografieren zu konzentrieren. Das will ich tun!

    Michael

  3. Dirk schreibt:

    Klasse, danke für die Aufklärung, ich glaub, so’n bischen gehör ich auch dazu …aber nicht ganz so krass. Ich hab mich auch schon dabei ertappt und fragte mich, was willst du damit eigentlich. Die alte Knipse ist noch gut genug. Meistens ging es bei mir aber auch um Neugierde und nicht, ein besserer Fotograf zu sein oder Eindruck zu machen. Ich kaufte Dinge also eher aus Neugierde. Aber ist wohl auch ein Auslöser?!

  4. Pingback: Kind of gear talk |

  5. Fehrum schreibt:

    In diesem Zusammenhang erhellend: Die Bildserie einer frequentierten Fotoseite, die sich mit dem Auspacken einer teuren Kamera beschäftigt.

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