Seitenwechsel

Sie sehen auf Ihren Fotos oben links im Himmel unschöne dunkle Flecken mit diffusen Rändern. Sensorflecken, sehr wahrscheinlich. Doch die Sensorreinigung der Kamera vermag den Fussel nicht weg zu schütteln, auch ein kräftiger Blasebalg kann ihm nichts anhaben. Sie setzen sich also an den Schreibtisch nah der Lampe, nehmen das Objektiv ab, klappen den Spiegel hoch und wollen nun dem Fleck per Feuchtreinigung zu Leibe rücken. Preisfrage: Wo ist der hartnäckige Fussel zu suchen?

Ein Sensorfleck! Oben links, klar. Und auf dem Sensor ...?

Ein Sensorfleck! Oben links, klar. Und auf dem Sensor …?

Ja, wo? Ebenfalls oben links? Oben rechts? Unten rechts? Sie legen die Kamera erst mal beiseite und bemühen Google. Wenn Sie Glück haben, stoßen Sie gleich auf die richtige Antwort. Sie können aber auch Pech haben. Denn zum Thema Sensorreinigung und Fusselortung finden Sie jede mögliche Antwort: gleiche Stelle, oben rechts, unten rechts, unten links. Was stimmt nun?

Die Sache wird dadurch nicht leichter, dass die Begriffe „seitenrichtig“ und „seitenverkehrt“ unterschiedlich gedeutet werden. Was ist eigentlich seitenrichtig?

Um die Fusselfrage gleich zu lösen: Er befindet sich auf dem Sensor unten links. Warum? Werfen wir zunächst einen Blick durch das abgenommene Objektiv. Es ist nicht ganz einfach, besonders bei Teleobjektiven, aber wir sehen nach etwas Gewöhnung, Drehen und Wenden: Das Bild steht auf dem Kopf. Ist es auch seitenverkehrt?

Könnten wir während dieser Betrachtung das Kunststück eines Kopfstandes vollbringen, würden wir das Bild vollkommen richtig sehen; die Beziehungen von rechts und links entsprechen dem Original, oder anders gesagt: Durch einfache Drehung des Bildes können wir es mit dem Original zur Deckung bringen. Es ist also seitenrichtig. (Leider ist das nicht durch Drehen des Objektivs möglich, es bleibt stur und liefert als kreisrundes, seitensymmetrisches Gebilde immer dasselbe Bild; deshalb der Kopfstand.)

Tatsächlich verschiebt das Objektiv jeden Originalpunkt um 180°. Was links oben war, liegt jetzt rechts unten … halt! Links wird rechts? Ist das Bild dann nicht auch seitenverkehrt? Hier liegt der Hund begraben. Was auf dem Motiv links ist, sehen wir beim Blick durchs Objektiv zwar rechts, aber da wir ein kopfstehendes Bild haben, bleiben die Links-Rechts-Beziehungen des Originals trotzdem erhalten. Was sich, wie gesagt, durch eine einfache 180°-Drehung beweisen lässt.

Wir müssen also den Begriff „seitenverkehrt“ definieren: Ein Bild ist seitenverkehrt, wenn es, aufrecht stehend, vertauschte Rechts-Links-Beziehungen hat. Karl stand tatsächlich links von Hilde, auf dem Bild ist es andersrum: seitenverkehrt. Oder schlicht: spiegelverkehrt. Die Älteren kennen das noch von Dia-Abenden, wenn ein Rähmchen versehentlich mit der Filmemulsion zum Projektor eingelegt wurde.

Die Vorstellung von alldem wird weiter dadurch erschwert, dass wir uns beim Betrachten des Sensors umdrehen müssen. Hätte er einen Polaroidbelag, könnten wir beim Blick durchs Bajonett sehen, dass Karl zwar immer noch links, aber eben auch auf dem Kopf steht, und ein solches Bild kriegen wir durch Drehung niemals mit dem Original zur Deckung. Es ist seitenverkehrt.

Preisfrage: Welche der unteren Kirchen lässt sich mit den oberen zur Deckung bringen?

Preisfrage: Welche der unteren Kirchen lässt sich mit den oberen zur Deckung bringen?

Dass die Verwirrung hierüber sich so hartnäckig hält, liegt vermutlich auch daran, dass niemand einen Sensor nur an einer Ecke reinigt. Und dass in Lexikoneinträgen oft zu lesen ist, ein Objektiv liefere ein kopfstehendes und seitenverkehrtes Bild – was für ein Bild in Draufsicht auch stimmt, nicht aber für die Durchsicht, etwa bei der Mattscheibenbetrachtung einer Großformatkamera. Kommt noch ein Spiegel ins Spiel, wird die Sache noch verwirrender, zum Beispiel bei älteren zweiäugigen Spiegelreflexkameras. Hier ist das Bild im Lichtschachtsucher aufrecht, aber seitenverkehrt. (Versuchen Sie damit mal, einem Fußballspiel zu folgen.)

Wenn Sie sich mit solchen Fragen nicht belasten wollen: Stempeln Sie den Sensorfleck einfach per Bildbearbeitung weg.

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