Biologisch-dynamisches Licht?

Zuweilen hört oder liest man einen Fotografen bekunden, ausschließlich mit natürlichem Licht zu arbeiten. Natürliches Licht scheint bei ihnen eine Art Bioprodukt zu sein; technikfrei und unbehandelt. Gegenstände erscheinen echter, Menschen gesünder. Das kann doch nur gut sein, oder?

Andere Fotografen wirken fast allergisch gegen natürliches Licht. Ihre erste Maßnahme am Aufnahmetag ist, jedes Licht von draußen auszuschließen; wenn nicht per Jalousie, dann mittels kurzer Verschlusszeiten.

Ist das natürliche das wahre, bessere, ehrlichere Licht? Licht aus biologisch-dynamischem Anbau unterscheidet sich grundsätzlich gar nicht vom Licht aus der Dose. Manche Formen natürlichen Lichts sind mit künstlichem in der Tat schwer bis nicht erreichbar. Versuchen Sie beispielsweise mal, den Grand Canyon auszuleuchten. Aber auch das Licht eines großen Fensters, das nach Norden oder bloß auf einen bewölkten Tag hinausgeht, ist künstlich nicht ganz einfach nachzuahmen. Mit modernen LED-Flächen geht das, aber die sind in dieser Größe nicht billig. Bleibt noch das punktförmige Licht von Fotolampen und -blitzen, und das lässt sich nur mit einiger Überredung wirklich gleichmäßig auf eine große Fläche verteilen; oft bleibt diese Fläche im Zentrum doch merklich heller als am Rand.

Auf der Habenseite des Kunstlichtes, besonders der Blitze, stehen jedoch verführerische Vorteile:

Fotoblitze machen unabhängig von Tageszeit und Wetter. Jenseits der Schnappschussfotografie können einen die Helligkeits- und Schattenschwankungen an einem mäßig bewölkten Tag in den Wahnsinn treiben; auch ohne Wolken ändert sich der Sonnenwinkel ständig. Kaum akzeptabel bei Aufnahmen, die sich über längere Zeit hinziehen.

Fotoblitze ermöglichen zumindest in Innenräumen auch tagsüber komplett eigene Lichtinszenierungen; häufig sogar ohne Fensterverdunklung.

Mit Fotoblitzen und ihrer einheitlichen Farbtemperatur hat man ungewollte Farbstiche (und gewollte Teiltönungen mittels Farbfolien) im Griff.

Fotografen, die an ihren Sets lange herumbasteln müssen – also solche, die nicht nur die Art und Weise ihrer Aufnahme, sondern das Motiv selbst (mit-)bestimmen –, schätzen deswegen Kunstlicht wegen seiner Kontrollierbarkeit und Beständigkeit. Das sind alle Fotografen außer Landschafts-/Natur- und Reportagefotografen. Nicht dass es nicht auch den einen oder anderen Portraitfotografen gäbe, der natürliches Licht wenigstens bevorzugte. Aber wer vom Licht leben muss, macht sich ungern von der Laune des Wetters abhängig.

Natürliches und künstliches Licht sind keine Feinde. Sie können sehr gedeihlich zusammenarbeiten. Die Rollen von Haupt- und Fülllicht können zwischen ihnen wechseln. Die harten Schatten direkten Sonnenlichts werden vom Frontalblitz barmherzig aufgehellt; ein bedeckter Himmel und offene Schatten liefern Freiluft-Blitzportraits ein kostenloses Fülllicht, und der Farbkontrast zwischen kühlem Wolkenlicht und wärmerem Blitzlicht lässt sich mit Farbfolien entweder ausgleichen – oder mit komplementärer Folie sogar verstärken. Beides kann ein gutes Bild liefern.

Bestehen Sie deshalb nicht kategorisch auf natürlichem Licht. Bestehen Sie auf dem besten.

Dieser Beitrag wurde unter Essay veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar